-Originalia-

Das Mammakarzinom – State of the Art in Medicine: Ein Versuch der Bestandsaufnahme

P. Rott, S. Kühlcke

 

Einleitung

Das Mammakarzinom ist der häufigste maligne Tumor der Frau. Weltweit werden im Jahr 2000 nach Schätzungen von Parkin und Mitarbeitern [1] etwa 1 Million Neuerkrankungen aufgetreten sein. In Deutschland erkrankten im Jahr 1998 etwa 46.000 Frauen neu am Mammakarzinom.

Interessanterweise gibt es bei der Inzidenz große regionale Schwankungen. In Nordamerika erkranken jährlich auf 100.000 Frauen etwa 84, in Nord- und Westeuropa ca. 64, hingegen in Südostasien und Westafrika nur 11 - 19 Frauen.

Dabei fehlt es bis heute an eindeutigen Erklärungen bezüglich der Ursache dieses Phänomens. Die Diskussion um mögliche genetische Ursachen und ernährungs- bzw. umweltbedingte Prädispositionen ist bis heute nicht endgültig abgeschlossen.

Deutlich wird allerdings durch diese Zahlen, dass die Beschäftigung mit dem Mammakarzinom und dessen Behandlung einen hohen Stellenwert bei allen in der Gesundheitsfürsorge der Frauen Tätigen einnehmen muss.

 

Ätiologie und Risikofaktoren des Mammakarzinoms

Eine Reihe von Daten, die im Rahmen von Experimenten und klinischen Studien erhoben wurden, weisen deutlich auf einen Zusammenhang der Mammakarzinomerkrankung mit der Dauer der Östrogeneinwirkung auf die entsprechenden Zellen hin [2]. Dabei wirken die Östrogene allerdings nicht mutagen, sondern mitogen, d. h. sie steigern die Proliferation der Brustdrüsenzellen.

Dieses Wissen sollte allerdings nur eingeschränkt zu der Vermutung führen, dass eine Hormonersatztherapie (HRT) im Klimakterium zwangsläufig das Brustkrebsrisiko erhöht. Auf Grund einer Reihe groß angelegter Metaanalysen [3, 4] lassen sich folgende Aussagen dazu treffen:

1. Eine HRT bis zu fünf Jahren führt zu keiner Erhöhung des Mammakarzinomrisikos.

2. Eine darüber andauernde HRT führt möglicherweise zu einer moderaten Steigerung des Risikos um den Faktor 1,2 bis 1,4. Dieses scheint mit der Einnahmedauer zuzunehmen.

3. Mammakarzinome, die unter Hormonsubstitution diagnostiziert werden, haben eine bessere Prognose als Mammakarzinome ohne Hormontherapie.

4. Nach Absetzen der HRT sinkt das relative Risiko rasch ab und erreicht in den ersten Jahren sogar einen Wert unter 1.

Neben den Östrogenen werden eine Vielzahl anderer Faktoren für das Auftreten des Brustkrebses verantwortlich gemacht. Hierzu gehören auch Umweltfaktoren und die Ernährung. Bewiesen ist eine eindeutige Korrelation zwischen Fettkonsum und Krebshäufigkeit. So erkranken Frauen im Norden Europas häufiger (hoher Verbrauch an tierischen Fetten) als jene im Mittelmeerbereich (hoher Verbrauch an pflanzlichen Fetten, z. B. Olivenöl, mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren).

Außer Nahrungsfaktoren können sicher auch ionisierende Strahlen in bestimmten Entwicklungsphasen (z. B. Pubertät) ein erhöhtes Risiko verursachen.

Aber auch eine genetische Disposition kann zur Entstehung von Brustkrebs beitragen. So ist z. B. eine familiäre Häufung von Mammakarzinomen bei Zwillingen oder bei Familien, wo Mutter oder Schwester der betroffenen Frau an Brustkrebs leiden, nachgewiesen.

Des Weiteren spielen reproduktive Faktoren eine Rolle bei der Entstehung des Mammakarzinoms. Frühes Einsetzen der Regelblutung, spätes Aufhören der Regelblutung, das Alter bei der ersten Schwangerschaft wie auch die Länge der Stillzeit können sich positiv oder negativ auf die Entstehung des Brustkrebses auswirken.

Einer der wichtigsten Risikofaktoren für ein Mammakarzinom ist allerdings das Alter. Frauen unter 25 Jahren erkranken extrem selten (< 1 %). Ab dem 30. Lebensjahr steigt das Erkrankungsrisiko kontinuierlich an, um zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr ein gewisses Plateau zu bilden und danach wieder anzusteigen.

 

 

Alter ( Jahre)

Inzidenz pro 100.000 Frauen / Jahr

Mortalität pro 100.000 Frauen / Jahr

30 – 35

24,5

 

35 – 40

51,6

9,8

40 – 45

98,9

33,8

45 – 50

114,1

57,1

50 – 55

168,9

44,2

55 – 60

168,0

72,4

60 – 65

194,6

79,1

65 – 70

203,8

93,2

70 – 75

291,3

137,3

75 – 80

229,3

133,3

80 – 85

257,5

164,4

>85

241,3

183,0

Gesamt

102,4

45,2

Tab. 1: Risikofaktor Alter für die Mammakarzinomerkrankung (Krebsregister Saarland 1993)

Alter (ansteigend ab ca. 30. Lj.)

Parität (Nulliparae, Frauen mit nur einer Geburt)

Frühe Menarche

Späte Menopause

Adipositas nach der Menopause ( >10 kg über Normalgewicht)

Benigne Mammaerkrankung in der Anamnese

Ovarialkarzinom, Endometriumkarzinom, kolorektale Karzinome

Strahlenexposition in der Jugend

Genetische Disposition

HRT > 10 Jahre

Tab. 2: Risikofaktoren für die Entstehung eines Mammakarzinoms

 

 

Diagnostik des Mammakarzinoms

Brustkrebserkrankungen haben normalerweise eine lange asymptomatische Vorlaufzeit. Zumeist werden sie eher zufällig durch Selbstuntersuchung der Frau oder -seltener- im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen durch Inspektion und Palpation entdeckt. Weitere Hilfsmittel stellen Mammografie und Sonografie dar. Je früher ein Mammakarzinom entdeckt wird, desto größer sind die Heilungschancen.

Es ist daher eine medizinische und gesellschaftliche Herausforderung, die Früherkennung des Brustkrebses zu optimieren. Gerade zurzeit sind vehemente Diskussionen hinsichtlich eines Mammografiescreenings und der damit verbundenen Kosten im Gange. Der Nutzen eines solchen Screenings allerdings ist durch eine Reihe systematischer Studien offensichtlich. So kann durch die Reihenuntersuchung der Tumor bereits kleiner dedektiert werden, sodass sich die Erkrankung zumeist in einem günstigeren Stadium befindet und eine Reduktion der Mortalitätsrate erzielt werden kann. So errechnet sich für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren nach 10 - 12 Jahren Follow up eine Reduktion der Mortalität um etwa 30 % [5].

Neben präklinischen Indikatoren, die nur durch technische Hilfsmittel erfasst werden können, sind folgende Untersuchungsbefunde verdächtig auf eine maligne Brusterkrankung:

tastbarer Knoten;

Hautverdickung;

Rötung oder Schwellung;

Hautirritationen oder Ulzerationen;

Einziehungen;

Orangenhaut;

Spannung, Schmerz oder Jucken der Mamille;

Retraktion der Mamille;

Sekretion der Mamille.

All diese Veränderungen müssen zur Durchführung einer Mammografie Anlass geben. Die von einigen Frauen befürchteten Strahlenrisiken durch eine Mammografie sind bei modernen Geräten sehr gering (Abfall der Strahlendosis seit Beginn der 60er-Jahre auf etwa 1/10. Ab dem 40. Lebensjahr übersteigt der Nutzen eindeutig das Risiko.

Die Sonografie ist eine wichtige Ergänzungsmethode in der Mammadiagnostik und hat eindeutig ihre Domäne bei der Abklärung von Zysten und bei der Überwachung von Risikopatientinnen mit dichtem Drüsenkörper.

In letzter Zeit gehen die Empfehlungen bei der Diagnostik vermehrt dahin, dass eine Stanzbiopsie zur histologischen Klärung des Befundes durchgeführt werden sollte. Dieses kann unter Umständen auch unter Ultraschallsicht zur besseren Lokalisation erfolgen.

 

Operative Therapie des Mammakarzinoms

Betrachtet man die heutigen operativen Konzepte beim Mammakarzinom, so sollte einem bewusst sein, dass die operative Therapie dieses Tumors viele Jahrhunderte zurückreicht. So beschreibt ein Ulmer Stadtarzt namens Scultetus bereits in seinem 1660 erschienenen Buch ausführlich die radikaloperative Abtragung der tumorbefallenen Brust.

Heutige Grundlage der Operation stellt allerdings ein von Rotter und Halsted 1898 entwickeltes Operationsverfahren dar. Durch dieses extrem radikale Operationsverfahren konnte damals die Lokalrezidivrate von ca. 60 auf 6 % gesenkt werden. Allerdings erkaufte man sich den beschriebenen Vorteil mit einer Reihe von Nachteilen, wie beispielsweise Lymphstau, erhebliche Bewegungseinschränkung des Armes etc. Trotzdem wurde diese Operationsmethode weltweit über sieben Jahrzehnte als Standard akzeptiert, bis nachgewiesen werden konnte, dass nicht die lokale Ausbreitung des Mammatumors, sondern vielmehr die frühe Metastasierung in Lymphbahnen und Blut das Überleben der Krebspatientin entscheidend beeinflusst. Zu diesem Zeitpunkt wurde die operative Radikalität reduziert. So zum Beispiel im Rahmen der modifizierten Radikaloperation nach Patey mit querer Schnittführung, geringerer Hautreduktion und Belassung beider Brustmuskel. Der entscheidende Durchbruch für die Mehrzahl der Patientinnen ergab sich aber erst, als durch internationale Studien gezeigt werden konnte, dass auch brusterhaltende Operationsverfahren in Verbindung mit nachfolgender Bestrahlung bei vielen Brustkrebserkrankungen keine schlechteren Überlebensraten nach zehn Jahren ergaben. Durch brusterhaltende Operationen in Verbindung mit Ausräumung der Lymphknoten werden heute ca. 70 % der Patientinnen therapiert. Desweiteren haben plastische Operationsverfahren, namentlich intramammäre Verschiebungen zur Defektrekonstruktion, die Latissimus-dorsi-Schwenklappen-Plastik und der so genannte TRAM-Flap, bei dem aus Bauchfettgewebe und gerader Bauchmuskulatur Eigengewebe zur Brustrekonstruktion verwendet wird, ebenso wie die Skin-sparing-mastektomie mit Simultanaufbau durch Silikonimplantate breiten Einzug gehalten.

Obwohl mit der Sentinel-lymphnode-Technik (Entfernung zunächst nur des Leitlymphknotens aus der Achsel nach präoperativer Markierung mittels schwach radioaktivem Tecnetiums), die im Rahmen von Studien in einigen Krankenhäusern mit hohem logistischen Aufwand durchgeführt wird, eine weitere Innovation der Operation des Mammakarzinoms ins Haus steht, gilt z. Zt. noch die Entfernung der Lymphknoten im Level I und II zum Goldstandard der Therapie. Sollte sich jedoch diese neue Operationsmethode etablieren können, so verspricht man sich eine höhere postoperative Beweglichkeit des Armes und eine Reduzierung der Lymphödeme des Armes.

 

Adjuvante Therapie des Mammakarzinoms

In der Regel wird die operative Therapie der Brustkrebserkrankung nicht nur durch eine Strahlenbehandlung zur Vermeidung des Lokalrezidives, sondern auch durch eine zusätzliche „adjuvante" Therapie ergänzt.

Ein wichtiges Kriterium für die Entscheidung, welche Form der adjuvanten Behandlung sinnvoll ist, stellen die so genannten Prognosefaktoren dar. Als solche werden klassischerweise folgende Parameter bezeichnet:

Tumorgröße;

Lymphknotenstatus und Zahl der tumorbefallenen axillären Lymphknoten;

histologischer Typ und morphologische Kriterien des Tumors;

Steroidrezeptoren (Östrogen- und Gestagenrezeptoren)

und zunehmend auch neuere Prognosekriterien wie:

HER-2/neu (c-erbB2);

p53;

Ki-67.

Desweiteren muss sich jeder operativen Behandlung eine so genannte Durchuntersuchung anschließen (oder ihr vorausgehen), bei der das Ausmaß der Fernmetastasierung erfasst werden soll, um auch vor diesem Hintergrund eine Empfehlung hinsichtlich der adjuvanten Therapie zu geben. Auch spielt der Menopausenstatus der Patientin eine erhebliche Rolle bei der weiteren Behandlung.

Grundsätzlich stehen schulmedizinisch gesehen folgende Möglichkeiten einer adjuvanten Behandlung zur Verfügung:

1. Chemotherapie,

2. Hormonelle Therapie.

In beiden Gruppen gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Präparaten, die nach mehr oder weniger festen Kriterien eine möglichst individualisierte Behandlung möglich machen sollen.

Darüberhinaus existieren eine große Anzahl von paramedizinischen Behandlungsmethoden (z. B. Misteltherapie, Hyperthermie etc.), deren Nutzen nach strengen schulmedizinischen Kriterien nicht ausreichend belegt ist. Trotzdem haben sie nach Ansicht der Autoren, sofern sie verantwortungsbewusst eingesetzt und beispielsweise nicht anstatt, sondern parallel zu einer allopathischen Therapie durchgeführt werden, einen Stellenwert bei der Genesung der Patientin.

 

Palliative Therapie des Mammakarzinoms

Bei der Feststellung von Fernmetastasen sollte sich die Behandlung auf das Reduzieren der krankheitsbedingten Beschwerden und damit die Erhaltung der Lebensqualität konzentrieren.

Dieses kann zum einen durch mildere, d. h. nebenwirkungsärmere Chemotherapien geschehen, beinhaltet aber auch häufig die Gabe von Bisphosfonaten zur Behandlung von Knochenmetastasen. Gerade in dieser Situation sollte der Fokus vor allem auf der meist gut verträglichen Hormontherapie liegen. Nur bei dringendem Handlungsbedarf, z. B. Leberfiliae, kann auch eine aggressive Chemotherapie gerechtfertigt sein.

Wichtig wird hier oftmals auch eine gute und suffiziente Schmerztherapie. Für diese haben sich Kombinationsmedikationen aus verschiedenen Analgetikagruppen in Verbindung mit milden Psychopharmaka als sinnvoll erwiesen. Hierbei hat sich das WHO Stufenschema zur Schmerzbehandlung bewährt.

Auch kommt hierbei insbesondere eine psychologische Komponente hinzu. Sicher erfordern Krebserkrankungen im Allgemeinen eine psychologische Kompetenz bei der Begleitung. Insbesondere aber bei Patienten, die „dem Tode geweiht" sind, ist eine entsprechende Kenntnis unabdingbar.

 

Fazit

Das Mammakarzinom ist die häufigste Krebserkrankung der Frau in den westlichen Industrieländern. Von allen Malignomen der Frau entfallen 21 % auf das Mammakarzinom.

Wichtig für den weiteren Verlauf der Erkrankung und damit der Prognose ist eine möglichst frühzeitige Diagnosestellung, für die eine regelmäßige Selbstuntersuchung der Frau eine entscheidende Rolle spielt. Auf Grund der Datenlage erscheint auch die (Wieder-) Einführung eines Mammografiescreenings sinnvoll.

Bei der Behandlung des Brustkrebses kommen einerseits operative Behandlungsstrategien und andererseits medikamentöse Begleittherapien zum Zuge. Ein wesentliches Augenmerk sollte bei allen Maßnahmen neben den Wünschen der Patientin auf die Erhaltung der Lebensqualität, insbesondere in der palliativen Situation, gerichtet sein.

Eine verstärkte psychosomatische Ausbildung der in diesem Bereich Tätigen sollte unbedingt angestrebt werden.

 

 

Anschrift der Verfasser:

Dr. Peter Rott

Gemeinschaftspraxis FERA im Wenckebach-KH

Wenckebachstr. 23

D-12099 Berlin

 

Dr. Sabine Kühlcke

Krankenhaus am Urban

Dieffenbachstr. 1

D- 10996 Berlin

 

 

 

Referenzen und Literatur:

1. Parkin MD, Pisani P, Ferlay J. Estimates of the worldwide incidence of eighteen major cancers in 1985, Int J Cancer 1993; 54: 594-606.

2. Henderson BE, Ross RK. Estrogens as a cause of human cancer. The Richard and Hilda Rosenthal Foundation Award Lecture. Cancer Res 1988; 48: 246-53.

3. Colditz GA, Egan KM, Stampfer MU. Hormone replacment therapy and risk of breast cancer: Results from epidemiologic studies. Am J Obstet Gynecol 1993; 168: 1473-80.

4. Sillerno-Arenas M, Delgardo-Rodrigues M, Rodrigues-Canteras R, Bueno-Cavanillas A, Galvez-Vargas R. Menopausal hormone replacement therapy and breast cancer: A metaanalysis. Obstet Gynecol 1992; 79: 286-94.

5. Fletcher S, Black W. Report of the International Workshop on Screening for Breast Cancer. J nat Cancer Inst 1993; 85: 1644-56.

6. Baltzer J, Meerpohl H-G, Bahnsen J. Praxis der gynäkologischen Onkologie. Band III. Stuttgart-New York: Thieme, 1999.

7. Untch M, Konecny G, Sittek H, Kessler M, Reiser M, Hepp H. Hrsg. Diagnostik und Therapie des Mammacarcinoms, State of the Art 2000. München-Bern-Wien-NewYork: Zuckschwerdt, 2000.

8. Kreienberg R, Möbius V, Alt D. Hrsg. Management des Mamacarcinoms. Ein Leitfaden für die Praxis. Berlin-Heidelberg-New York: Springer, 1998.