Immer häufiger fragen Patienten mit Hirntumoren nach komplementären Therapieoptionen. Hirntumore machen heute insgesamt 2-5 % aller Tumoren aus und weisen eine Inzidenz von 6-12/100.000 Einwohner/Jahr auf (Inzidenz des Mammakarzinoms zum Vergleich: 70-100/100.000 Frauen/Jahr). Die weitaus häufigsten Hirntumore sind Meningeome, gefolgt von Glioblastomen. Im Kindesalter sind Hirntumore nach den Leukämien sogar die zweithäufigste Tumorart; am häufigsten sind hier Medulloblastome und Astrozytome WHO Grad I.
Im Vergleich zu Tumoren des übrigen Organismus zeichnen sich Hirntumore durch einige Besonderheiten aus: Die Grenze zwischen gut- und bösartig ist hier fließend. Histologisch "gutartige Hirntumoren" weisen keine Kapsel und oft ein infiltratives Wachstum auf, sodass Rezidive nach Operation nicht selten sind. Obwohl histologisch "gutartig", können sie durch Verdrängung und Kompression des Gehirns zum Tode führen.
Maligne Hirntumoren metastasieren äußerst selten, wachsen aber aggressiv ins umgebende Hirngewebe ein, sodass radikale Operationen äußerst selten möglich sind. Dies erklärt die ausgeprägte Rezidivneigung.
Aufgrund guter Kompensationsmöglichkeiten machen Hirntumore oft erst in fortgeschrittenen Stadien Symptome. Eine Kachexie wird niemals beobachtet, was wohl an der Blut-Hirn-Schranke liegt. So stellt das Gehirn trotz vielfältigster neuroendokriner Kommunikationen mit dem übrigen Organismus doch eine "eigene Welt" dar.
Die Symptomatik von Hirntumoren besteht typischerweise in epileptischen Anfällen (fokale Epilepsie je nach Sitz), Lähmungen (typisch ist die langsam entstehende spastische Parese einer Extremität, die bis zur Hemiparese fortschreiten kann, sowie Doppelbilder bei Augenmuskelparesen), Schwindel, Gangunsicherheit, Wesensänderungen, Antriebs- und Orientierungsstörungen, Kopfschmerzen und schließlich Hirndrucksteigerung. Letztere äußert sich in rasch auftretenden Orientierungs- und Bewusstseinsstörungen, starken Kopfschmerzen, Übelkeit, Nüchternerbrechen bis hin zu Bradykardie und Atmungsstörung und stellt eine dringliche Notfallsituation dar, die den sofortigen Einsatz von Dexamethason und Osmodiuretika intravenös erfordert.
Die WHO-Klassifikation der Hirntumore richtet sich nach dem Zelltyp, aus dem sich der Tumor entwickelt hat: Zum Beispiel
Glia-Zellen | Astrozytom, Glioblastom |
Oligodendroglia | Oligodendrogliom |
Ependym (Auskleidung der Hirnventrikel) | Ependymom |
Hirnhäute | Meningeom |
embryonales Nervengewebe | Medulloblastom, Neuroblastom |
Die WHO-Stadieneinteilung erfolgt in WHO Grad I, II, III oder IV, je nach dem histologischen Grad der Malignität. Dabei bezeichnet Grad I einen hochdifferenzierten, langsam wachsenden Tumor mit guter Prognose nach Operation. WHO Grad IV entspricht dagegen einem entdifferenzierten, rasch wachsenden Tumor mit hoher Rezidivrate und schlechter Prognose.
Die schulmedizinische Therapie der Hirntumore ruht nach wie vor auf drei Säulen: Operation, Strahlen- und Chemotherapie:
Neurochirurgische Maßnahmen dienen der Beseitigung des erhöhten Hirndrucks, der Gewinnung von Tumorgewebe für eine sichere Diagnosestellung und schließlich der möglichst vollständigen Tumorentfernung. Eine Heilung durch Operation ist bei Meningeomen, Neurinomen, Empendymomen und Astrozytom WHO Grad I erfolgsversprechend. Bei Glioblastomen ist wegen der aggressiven Infiltration des umliegenden Hirngewebes in der Regel nur eine palliative Operation möglich, die dringend der Ergänzung durch Strahlen- und eventuell Chemotherapie bedarf.
Die Strahlentherapie ist bei allen fortgeschrittenen Hirntumoren der WHO Grade III und IV indiziert, speziell bei Astrozytom Grad III, Glioblastom, Ependymom und Medulloblastom. Die Chemotherapie ist besonders wirksam bei Astrozytom Grad III anschließend an Operation und Strahlentherapie, auch bei Glioblastom-Rezidiven und Medulloblastom (vor allem bei Kindern unter 3 Jahren auch als alleinige schulmedizinische Maßnahme ohne Operation oder Strahlentherapie, um bleibende Schäden möglichst gering zu halten).
Im Zentrum der Komplementärtherapie steht auch bei Hirntumoren die parenterale Applikation von Mistelextrakten. Die Ziele der Misteltherapie bei Hirntumoren sind:
Erhaltung/Besserung der Lebensqualität
Bessere Verträglichkeit der Strahlen-/Chemotherapie
Tumorwachstumshemmung, wahrscheinlich hauptsächlich immunologisch vermittelt, da durch subkutane Mistelinjektionen freigesetzte Interleukine liquorgängig sind. Aber auch direkte zytotoxische Effekte sind nicht auszuschließen.
In vitro zeigt Mistellektin 1 einen dosisabhängigen zytotoxischen Effekt auf anaplastische Gliom-Zellinien (1). Tierexperimentell führte das Mistellektin bei 344 Ratten mit intracerebral implantierten Gliomzellen zu einer deutlichen Verringerung des Tumorvolumens, sowohl bei lokaler als auch bei systemischer Applikation (2). In einer prospektiv-randomisierten Studie bei 35 Patienten mit malignen Gliomen führte die Standardtherapie (Operation, Bestrahlung) zu einer signifikanten Immunsuppression. Durch gleichzeitige subcutane Mistelextrakt-Behandlung konnte dies nicht nur verhindert werden; es kam sogar zu einem signifikanten Anstieg der T-Lymphozyten und der Aktivierungsmarker. Dies korrelierte mit einer Besserung der Lebensqualität (3). Dieser günstige Effekt erklärt sich durch die immunprotektive Wirkung von Mistelextrakten via DNA-Stabilisierung in peripheren Lymphozyten, die vor allem für den Tannenmistelextrakt HELIXOR A eindrucksvoll nachgewiesen werden konnte (4).
Nach 50 Monaten follow-up zeigte sich für die mistelbehandelten Patienten mit Gliomen Grad III/IV eine signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens und eine tendenzielle Verlängerung des rezidivfreien Überlebens gegenüber der Kontrollgruppe ohne Misteltherapie (5). Auch hochdosierte intravenöse Mistelinfusionen (bis zu 1200 mg Mistelextrakt pro Infusion) wurden bei 6 Patienten mit malignen Hirntumoren mit gutem Erfolg (Besserung der Lebensqualität, Überleben bei Gliompatienten 18 Monate und länger) und ohne Nebenwirkungen verabreicht (6).
Zu beachten ist bei der Misteltherapie von Hirntumoren:
Hirn- und Rückenmarkstumore oder -metastasen sind keine Kontraindikation für die Anwendung von Mistelpräparaten. Bei adäquater antiödematöser Therapie besteht keine Gefahr einer Hirndruckerhöhung.
Bei anthroposophischen Mistelpräparaten sollten unbedingt Nadelbaummistelpräparate (z.B. HELIXOR A) bevorzugt werden.
Für eine gute Wirksamkeit ist eine ausreichend hohe Erhaltungsdosis (z.B. HELIXOR A 100/100/150/150/200/200/200 mg in täglicher s.c. Dosierung und wöchentlicher Wiederholung) erforderlich. Diese Notwendigkeit einer hohen Dosierung wird aus der Tatsache verständlich, dass die Freisetzung von Zytokinen aus Makrophagen der Haut dosisabhängig erfolgt (7). Selbstverständlich sind die entzündliche Lokalreaktion an der Injektionsstelle sowie Fieber und grippeähnliche Symptome als dosislimitierende Faktoren zu beachten, zumal das Auftreten solcher Reaktionen Ausdruck einer optimalen Zytokinfreisetzung ist. Bei übermäßigen Reaktionen (z.B. Lokalreaktion über 5 cm oder Fieber über 38° C) sollte die Dosis reduziert werden.
Sonstige komplementäre Therapien:
Indischer Weihrauch (Boswellia serrata) (z.B. H15-Ayurmedica 3 x täglich 1200 mg p.o.): Durch spezifische 5-Lipoxygenase-Hemmung wird via Hemmung der Leukotriensynthese die Hirnödembildung vermindert, sodass Indischer Weihrauch bis zu einem gewissen Grade Kortikosteroide ersetzen kann. In höheren Konzentrationen ist ein zytostatischer Effekt durch Hemmung der Topoisomerasen I und II sowie eine Apoptose-Induktion in Lymphom- und Glioblastomzellen nachgewiesen (8). In einer prospektiven Studie konnte bei Glioblastompatienten eine Rückbildung des Hirnödems um ca. 30 % und eine Besserung der neurologischen Symptomatik bei 50 % der Patienten durch 3 x 1200 mg H15-Ayurmedica nachgewiesen werden (9).
Christrose (Helleborus niger) (z.B. Helleborus niger aquosum D3 3 x pro Woche 1 Ampulle subkutan, am besten beginnend mit 8 Injektionen der D12, gefolgt von 8 Injektionen D6 und 8 Injektionen D4). Auch von Helleborus niger sind antiödematöse Wirkungen nachgewiesen; eine gute Wirkung bei Epilepsie und Hirndruck ist aus der Homöopathie bekannt (10). Daneben hat Helleborus auch immunmodulierende und entzündungshemmende Effekte (11). In zahlreichen Kasuistiken, vor allem bei Kindern mit Hirntumoren, zeigten sich sehr positive Effekte auf den Krankheitsverlauf, in Einzelfällen auch Tumorrückbildungen bei inoperablen Tumoren, wenn Helleborus niger im Rahmen eines ganzheitlichen anthroposophischen Therapiekonzeptes per oral oder s.c. verabreicht wurde (12-14).
Natriumselenit (z.B. Cefasel, Selenase 100-300 g pro Tag p.o.).
Belladonna D15 3 x wöchentlich s.c. oder 1 x täglich p.o. zur Epilepsieprophylaxe.
Arnica radix D20 2-3 x wöchentlich subkutan zur Vitalisierung geschädigten Nervengewebes.
Es stehen somit zahlreiche Therapien und Arzneimittel zur Verfügung, die auch bei einem prognostisch ungünstigen Hirntumor eine Verbesserung der Lebensqualität und eine Verlängerung des Überlebens erhoffen lassen.
Dr. med. Dietrich Schlodder Fischermühle 9 72348 Rosenfeld Literatur Lenartz, D. et al.: Zeitschrift für Onkologie 29, 1997, 11-15 Lenartz, D. et al.: Anticancer Res. 18, 1998, 1011-1014 Lenartz, D. et al.: Anticancer Res. 16, 1996, 3799-3802 Büssing, A. et al.: Forschende Komplementärmedizin 3, 5, 1996, 244-248 Lenartz, D. et al.: Anticancer Res. 20, 2000, 2075-2076 Konitzer, M.: Zeitschrift für Onkologie 24, 1992, 152 -154 Jung, M.L. et al.: in Scheer, R. et al. (Hg) Grundlagen der Misteltherapie, Hippokrates Stuttgart 1996, 302-314 Safayhi, H., Ammon, H.P.T.: PZ 142, 1997, 3277-3286 Böker, D.K., Winking, M.: Deutsches Ärzteblatt 94, 1997, 958-960 Kloppenborg, R., Kuno, M.D.: AKODH intern 1, 1998, 63-66 Büssing, A. et al.: Journal of Ethnopharmacology 59, 1998, 139-146 Lenard, H.G. et al.: Neuropediatrics 29, 1998, 328-330 Madeleyn, R. et al.: Der Merkurstab 54, 2001, 397-407 Madeleyn, R. et al.: Der Merkurstab 55, 2002, 36-47